In den vergangenen Wochen wurde der Lehrauftrag eines aktiven Polizisten an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Leibniz Universität Hannover (LUH) stark öffentlich diskutiert. Als Fachrat Sozialwissenschaften und AStA wollen wir dazu erneut Stellung beziehen.
Zunächst wollen wir unsere Gründe für unser Vorgehen und die Vorgehensweise gegen das aktuell von einem aktiven Polizisten angebotene Seminar detailliert darlegen. Die Studierendenschaft der LUH hat sich in den letzten Jahren immer wieder zu einer Zivilklausel bekannt. In der Vollversammlung im Jahr 2018 wurde die Zivilklausel das letzte Mal bestätigt und erweitert. Die Zivilklausel umfasst nun auch Akteur*innen, „die für […] (Waffen-)Gewalt und Überwachung verantwortlich sind.“ Dazu zählt eindeutig auch die Polizei. Somit orientieren wir uns an wiederholt bestätigten Beschlüssen der Studierendenschaft – im Gegensatz zu Senat, Präsidium und Institut für Soziologie (ISH).
Weiterhin sehen wir einen möglichen Rollen- und Interessenskonflikt bei aktiven Polizist*innen, die an einer universitären Einrichtung lehren. Einerseits erschwert die Sozialisation in polizeilichen Kontexten (strukturelle) Probleme der eigenen Institution wahrzunehmen und zu benennen. Andererseits können auch Karrieregründe, die Angst vor dem Ausschluss aus dem Gruppengefüge im Arbeitsalltag, Macht- und Abhängigkeitsstrukturen oder einfach die Gesinnung Gründe sein, weshalb Probleme in der eigenen Institution nicht offen kritisiert werden können oder sollen. Als Lehrbeauftragte einer Universität, insbesondere aber als Soziolg*in, müssen solche Probleme jedoch kritisch analysiert und auch angeprangert werden. Aus diesen Gründen halten wir einen aktiven Polizisten als Dozenten nicht für geeignet. Dass er im ersten Seminar Polizist*innen als “bewaffnete Soziologen” bezeichnet hat, verstärkt diesen Eindruck.
Sein Lehrauftrag wurde, aus unserer Sicht, nach mangelhafter Diskussion angenommen. Dabei warf uns das ISH direkt nach der ersten Konktaktaufnahme bezüglich des Themas Diskriminierung und Zensur vor. Auch die Diskussion mit unserer studentischen Vertretung im Institutsvorstand kam auf inhaltlicher Ebene erst gar nicht zustande, sondern wurde mit dem Argument, dass der dozierende Polizist einen akademischen Titel habe und damit natürlich dozieren dürfe, abgeblockt. Die Kritik, dass dieser in seinem Manuskript zu racial profiling rassistische Stereotype reproduziere, wurde somit auf diskursiver Ebene erst gar nicht zugelassen und die studentische Vertretung bei der Vergabe des Lehrauftrages überstimmt. Somit ist die Aussage von Herrn Bös, dass der Fachrat keine weiteren Bedenken gegenüber der Vergabe des Seminars an Dozenten hätte, nicht korrekt. Wir fragen uns außerdem, weshalb das Institut nicht Lehrpersonen angefragt hat, die zum selben Thema hätten referieren können, jedoch nicht im aktiven Polizeidienst sind.
Wir halten den Begriff der Diskriminierung dann für angebracht, wenn er für herabsetzendes Verhalten gegenüber marginalisierten Gruppen verwendet wird. Dazu zählt die Polizei nicht und so wie das ISH den Begriff nutzt, wird die eigentliche Bedeutung stark verwässert. Die von Herrn Bös angesprochene Podiumsdiskussion war eine Überlegung, mit der ganz zu Beginn der Planungen der Veranstaltungsreihe „Who protects us from you? Kritik an der Polizei und warum das nicht reicht“ geliebäugelt wurde, die jedoch verworfen wurde, um der Institution Polizei an der Uni nicht auch noch eine weitere Bühne zu bieten.
In einem Interview in der HAZ hat der Uni-Präsident Volker Epping vor “Cancel Culture” und “Denkverboten” gewarnt.
Unseren kritischen Umgang mit dem Lehrauftrag als „cancel culture“ zu diffamieren finden wir unangebracht und verkürzt. Seit langem wird die Forderung nach Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit von Handlungen und Aussagen von Akteur*innen als eben diese Freiheitsgefährende „Cancel culture“ gerahmt, und die Kritiker*innen damit als pauschal intolerant, diskriminierend und engstirnig diskreditiert. Diese Darstellung ist eine Umkehrung der Verhältnisse und blendet die eigentlichen Machtkonstellationen bewusst aus. Konkret: Es liegt und lag nie in unserer Macht als Studierendenschaft über Lehraufträge zu entscheiden, unser einziges Mittel ist uns öffentlich dagegen zu positionieren. Wäre ein internes Veto gegen einen Lehrauftrag auch schon als cancel culture verstanden worden? Sicher nicht. Studentischen Protest, der reale Konsequenzen einfordert, als „cancel culture“ und „Denkverbot“ zu bezeichnen, sehen wir in einer populistisch, konservativen bis neurechten Tradition der letzen Jahre, in der von der eigentlichen Kritik abgelenkt und die Kritiker*innen selbst, nicht ihre Argumente, zur Zielscheibe gemacht werden. Zwei Tage nach dem HAZ Interview wird im AStA eine Scheibe mit einem faustgroßen Pflasterstein eingeworfen. Die realen Konsequenzen sind also auf der Seite der Kritiker*innen und nicht beim Dozenten oder einer abstrakten Meinungsfreiheit zu verbuchen. Wir sind sehr besorgt über diese Entwicklung und die Emotionalität, die unsere Kritik an der Polizei anscheinend erzeugt.
Gerade vor dem Hintergrund der vor Jahren vorgenommenen Einsparungen am Insitut für Soziologie, die unter anderem die Streichung des Fachbereichs Sozialpsychologie zur Folge hatte und ein immer dürftigeres Lehrangebot für die Studierendenschaft bedeutet, fragen wir uns, wo tatsächlich „gecanceled“ wurde. Zwar spricht Herr Epping in der HAZ davon, dass an der Uni Lehraufträge „nach Qualität“ ausgewählt würden, jedoch war die Zusage an den Dozenten womöglich auch durch die Möglichkeit eines unendgeltlichen Lehrangebots für das finanzschwache Institut ausschlaggebend.
Wir dulden an unserer Universität keine Polizei in Forschung und Lehre und keinen Rassismus!
Wir fordern weiterhin, diesen Lehrauftrag zurückzuziehen und die studentischen Forderungen nach einer Zivilklausel ernst zu nehmen!
Leider erweckt ihr mit der Aussage „Wir dulden an unserer Universität keine Polizei in Forschung und Lehre und keinen Rassismus!“ den Eindruck, Polizisten seien Rassisten. Ja, ich weiß, ihr könnt sicher syntaktisch klarlegen, dass das in dem Satz so nicht gesagt ist. Geschenkt! Der Eindruck entsteht trotzdem – und das scheint auch gewollt zu sein.
In eurer Stellungnahme fehlt jegliche Distanzierung von dem Gewaltakt gegen das Auto des Dozenten.
Es ist euer demokratische Recht, die Veranstaltungen des kritisierten Polizeibeamten nicht zu besuchen.
Undemokratisch wäre es erst, wenn Studenten dazu verpflichtet würden, genau diese Veranstaltung zu besuchen.
@ Richter: Allerdings setzt dieses Recht auch voraus, dass Transparenz herrscht über die Vita der Dozenten. Gerade in den Sozialwissenschaftlichen Vorträgen gehe ich davon aus, dass ein Seminar nicht von einem im aktiven Dienst befindlichen und zur ausführenden Gewalt gehörenden Dozenten durchgeführt wird. Zumal sicherlich mit entsprechender Mühe auch die Alternative bestanden hätte einen Beamten außer Dienst hierfür zu gewinnen.
Demnächst suchen die Studenten*innen die Veranstaltungen nicht mehr nach den vermittelten Inhalten aus, sondern nach dem Lebenslauf des Lehrenden. Letzteres sollte m.E an einer qualitativ guten Universität nicht vordergründig für die Studierenden sein.
Schade, dass der LUH Päsident seit er im Amt ist eher mit unkooperativen Aktionen von sich reden lässt, unter anderem die verzögerte und ablehnende Haltung bzgl. Online Prüfungsleistungen im WS 20/21 und nun das Übergehen der Meinung des wichtigsten Vertreterorgans der Studenten in der Kritik zum Dozenten.
Bekennend ist auch die Begründung „Gewaltakt gegen das Auto des Polizisten“ mit dieser der Polizeibeamte selbst aus der Tätigkeit an der LUH zurücktritt und diesen mit seiner Vorlesung/ Seminar im Verbindung bringt. Dem Eindruck Sozialwissenschaftsstudenten* innen sind kriminell…steht dem Eindruck entgegen Polizisten seien Rasissten!
Ich distanziere mich von jeglicher Art von Gewalttat. Wir wollen aber nicht anfangen eine Klassenbewertung vorzunehmen, ob die Tat an dem Polizisten mehr Bedeutung zugemessen werden sollte als die der ASTA. Gewalt ist Gewalt!
Allerdings liegt es in der Natur der Tätigkeit des Polizisten, sich eher mit negativen und schlechten Erfahrungen auseinanderzusetzen dem beruflich vermutlich wenig positives im Sinne von positiven Beispielen in seiner Häufigkeit entgegen zu setzen ist. Das sich nach mehreren Jahren Polizei-Dienst gewisse Polarisierungen und Vorurteile festigen scheint nicht abwegig zu sein. Dafür sprechen auch einige Studien und nicht wenige Medienberichte. Es ist auch ein natürlicher Prozess, dass insbesondere Sozialwissenschaftsstudierende Gesellschaft beleuchten und sie selbst sowie seine Institutionen und Strukturen hinterfragen. Deshalb sind sie nicht automatisch kriminell.
Es gibt bestimmt die Polizisten*innen welche sich von jeglichem Diskriminierungsgedanken fern sehen, oder?
Ich wünsche mir innerhalb der Polizei eine generelle Auseinandersetzungen mit der Thematik der Selbst- und Fremdwahrnehmung. Es sollte für alle ausführenden Gewaltorganen in Deutschland Pflicht werden, diese in bestimmten Intervallen zu hinterfragen und transparent mit dem Ergebnis umzugehen.
Zur Verdeutlichung nochmal die Aussage, das Gewalt nicht die Lösung für Konflikte sein kann. Sie kann nur ein weitere Nährboden für eine Polarisierung sein, aber sie scheint die Folge einer Ohnmacht zu sein nicht gehört zu werden. Wir sind ein Land, ein Volk und müssen dringend hierfür die Gemeinsamkeit erhaltende Werte definieren und sie leben.